Meerleben, 28. Mai 2016

meerleben-frau-1-croppedAls wir den hecken­um­säumten Platz vorm Dorf er­reichen, fängt mein Herz vor Freude an zu pochen. Jan, die gute Seele von Meerleben, hatte uns mit dem dorfeigenen VW-Bus von der Bahnstation in Wismar abgeholt. Als wir die Autotüren öffnen, strömt uns der feine Duft der Heckenrosen entgegen. Der Stress der letzten Wochen scheint mit einem Schlag von mir abzuperlen. Alltag ade! Ich öffne die Tür unseres Ferienhauses, während die Kinder sich direkt auf die Suche nach ihren alten Ferienfreunden begeben. Es duftet nach Fichtenholz, Lehm und Kaminfeuer – „irgendwie heimatlich“, denke ich, während ich unseren Proviant in den Kühlschrank verfrachte. Da kommt Henry mit einem Zettel in der Hand in die Küche. „Post von unseren letzten Mietern!“ Er liest: „Liebe Hanna, lieber Henry, was für Ferien – wir sind begeistert! Erst dachten wir, dass es schwierig werden könnte, bei den vielen Häusern seinen Rückzug zu finden, um richtig entspannen zu können. Aber weit gefehlt! In unserem Atrium haben wir die Ruhe gefunden, nach der wir uns so gesehnt hatten. Letztlich haben wir uns aber am häufigsten im Gemeinschaftshaus mit seinen wunderschönen Außenflächen aufgehalten. Highlights waren für uns das morgendliche Yoga im Gemeinschaftsraum (Maggie und Kim), exzessives Surfen (Fritzi), das Buddeln im Sand mit Freunden (Jo), Herrengedeck in Jans Bar (Kim) und Duschen in eurer genialen Freiluftdusche (alle)… Jo bedankt sich dafür, dass er das Surfbrett benutzen durfte und ich mich für den Roman von Paul Auster, den ich bei euch im Bücherregal gefunden und in einem Rutsch durchgelesen habe. Wir hoffen, alles wieder so hinterlassen zu haben, wie ihr es euch wünscht. Und kommen wieder, wenn wir dürfen! Beste Grüße – bestmöglich aufgetankt, Maggie, Kim, Fritzi und Jo.“

Ich freue mich über die Zeilen und trete auf die Terrasse. Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, das Haus noch viel öfter zu vermieten, aber wir kommen viel zu gern selbst hierher. Draußen weht mir die vielzitierte steife Brise um die Nase und ich genieße die herrliche Ruhe, die nur vom mir wohlbekannten Klingeln der Schellente gefüllt wird. Jetzt erspähe ich unseren gefiederten Freund, der sich gelassen in unserem Bassin sein schwarz-weißes Gefieder putzt. Dann wandert mein Blick von den seit unserer Abwesenheit beachtlich gewachsenen Kieferbäumen auf den blühenden Sanddorn und schließlich auf Haus immergern, das in unserer Abwesenheit fertig gestellt wurde. Wie die anderen Objekte auch fügt es sich perfekt in die Landschaft und die bestehenden Häuser ein. Und doch ist es auf seine Weise sehr besonders und individuell. Irgendwie sieht es verspielt aus, denke ich mir, während ich neugierig darauf zugehe und das in die Weite der Landschaft orientierte Panoramafenster bewundere. Ich bin neugierig, das Haus von innen zu sehen und beschließe, den neuen Nachbarn alsbald einen Besuch abzustatten. Da kommen mir Jo und Fritzi mit ihren Freunden und deren Eltern entgegen. Während die Kinder auf ihrem Absatz kehrt machen und auf den Abenteuerspielplatz zusteuern, der schon seit Tagen beherrschendes Thema zwischen den beiden gewesen ist, begrüße ich Tim und Susi.

Er ein Doku­­mentar­filmer, sie Lehrerin. Beide leicht überdreht, aber wahnsinnig nett. Sie erzählen von ihrem langen Spaziergang im nahe gelegenen Wald, der sie zufällig zu einer riesigen Grabanlage aus der Bronzezeit geführt hatte. Mehrere Hünengräber lagen verstreut im Wald, die Kinder waren begeistert auf die regennassen, bemoosten Steine geklettert. Dann erzählen sie, dass die Gerstens morgen Nachmittag eine süße Spezialität aus ihrer Heimat im Gemeinschaftshaus darreichen wollen. Zwangloses Zusammensitzen, es kommt, wer will. Wie schön, dachte ich, dann kann Henry in Ruhe mit seinen Kumpels das HSV-Spiel anschauen, während ich es mir mit den Fußballmuffeln gut gehen lasse.

Aber jetzt erst mal runter zum Strand und ab ins Meer! Ich laufe zurück zum Haus und rufe nach Henry, der inzwischen den Kamin angeschmissen und es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat. Aber das Jungfernbad des Jahres im frischen Meer will er sich doch nicht entgehen lassen. Falls es zu kalt ist, werden wir uns nachher in der Sauna aufwärmen. Auf dem Weg zum Strand merkt Henry an, wie klasse er es findet, das im ganzen Dorf auf Gartenzäune, Fahnen und Bürgersteige verzichtet wurde. Ich habe das Gefühl, dass sich die Großzügigkeit des Strandes bis hier her zieht“, erklärt er, als wir am Gemeinschaftshaus vorbeikommen. Jan hat inzwischen tatsächlich den Außengrill fertig gebaut. Er ist toll geworden. Hier lässt es sich sicherlich herrlich sitzen und feiern! Dann schauen wir neugierig auf das Schwarze Brett. Neben einem Hilfegesuch beim Kücheneinbau, der Lieferliste vom Bio-Bauern und einem heiteren Foto vom Osterfrühstück sind verschiedene Aktivitäten annonciert. „Schau mal, Andi und Sybille scheinen auch da zu sein. Sybille bietet einen Pantomimekurs an!“ Außerdem sucht ein mir unbekannter Uli noch zwei Partner für eine Skatrunde. Gemeinsames Töpfern, Gemeinschaftsbildungsseminare, Pantomimeworkshops – warum nicht auch Skat? Spannend, dass die immer wieder wechselnden Gäste-Konstellationen dem Ort ein stets neues Gesicht geben! Als wir erfrischt und glücklich vom Meer zurückkommen, treffen wir Ute, die mal wieder emsig an den Außenflächen werkelt. Es ist mir ein Rätsel, wie man mit solcher Akribie an Hortensien, Forsythien und anderen Sträuchern arbeiten kann. Gleichzeitig freue ich mich über das blühende Ergebnis und nehme mir vor, ihr bei Gelegenheit einen Kuchen zu backen.

Sauna ist heute nicht nötig, statt dessen lassen wir den Tag bei einem gemütlichen Abendessen und gutem Rotwein mit unseren Freunden im Gemeinschaftshaus ausklingen, wo wir endlich auch die Kinder mal wieder zu Gesicht bekommen. Als wir satt und gut gelaunt durch die Dämmerung in unser Häuschen zurückkehren, freue ich mich auf unsere Koje. In der ersten Nacht haben wir es uns zur Tradition gemacht, alle im Atrium zu schlafen. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick auf den bombastischen Sternenhimmel. Henry erzählt uns die Geschichte vom Gorilla, der auf der Venus ein wildes Abenteuer erlebt und noch vor dem Happy End sind die beiden Rabauken tief und fest am Schlafen…